L1, 5a. „Wer hier schon Schwierigkeiten hat, wird einen harten Tag haben“, oder so ähnlich sagt das Internet. Ich bin kalt und steif und mühe mich ab, Placements gibt es auch nicht viele. Das kann ja was werden.
L2, 5c. Sybille führt und kämpft mit dem breiten Kamin.
L3. Fingerrissverschneidung, 7a. Das kann ich! Drei 0.3er habe ich auch mit. Und da steckt sogar noch einer. Der Fingerriss läuft gut, einfach immer den Hintern an der Wand scheuern und nicht zu schnell, aber dann kommt der Ruhepunkt am guten Klemmer, und da will man nicht mehr weg. Nach fünf Minuten checke ich, dass der Stand rechts um die Ecke ist. Ich klemme verkrüppelt im Eck und schüttle meine Füße aus. Nach weiteren fünf Minuten kommt die Erkenntnis, dass man wohl rechts die runde Kante nehmen muss. Wiederum fünf Minuten später brüllt mir der Kerl aus dem Projekt rechts zu, Sloper!!! Ich zucke entschuldigend die Achseln, von Riss auf Sloper umschalten kann ich nicht. Mir wird klar, dass ich die Stelle auf meine Art lösen muss. Ich klemme und schüttle und winde mich in der engen Ruheposition. Mein linkes Bein zuckt. Ich arbeite mich ein Stück höher, der linke Arm gestreckt bis auf Anschlag, die Finger klemmen noch im Riss. Jetzt muss ich aber nach rechts.
Ich sehe mich schon fallen
Nach bestimmt zwanzig Minuten Hadern packe ich irgendwie die Kante, weiter oben, stelle die Füße gegen die Wand, sie fangen an zu schmieren. Plötzlich habe ich die linke Wand im Rücken und verspanne mich mit dem Hintern dagegen. Gute Überraschung. Mein rechter Fuß schmiert abwärts, ich sehe mich schon fallen. Wie süß wäre es, sich jetzt rutschen zu lassen, einfach loszulassen… ich kriege den Hintern nicht mehr hoch, der Fuß ist zu tief abgesackt… Nein!!! Ich muss wollen! Mit einem Kraftakt und einem verzweifelten Schrei bewege ich meinen Körper um drei Zentimeter nach oben. Es hält. Ich würge mich hoch und rüber, stütze irgendwie auf den seichten Dellen der rechten Wand. Reine Willenskraft, kein Können. Wer hat den Umlenker so weit rechts gebohrt? Immer noch in der Verschneidung verspannt strecke ich meine rechte Hand aus und clippe eine Exe hinein. Fast will ich sie schon greifen… Mit einem weiteren langgezogenen Schrei gleitet auch das Seil hinein. Der Körper folgt. Am Stand übergebe ich mich fast.
Sybille macht sich auf den Weg. „Piazen und dicht an der Wand bleiben!“, rufe ich. Ich fühle von oben, wie Metall über Fels schleift – nun gut, das ist der Preis, Gott sei Dank hängen meine Cams in der Wand und noch nicht an ihrem Gurt. Im selben Moment höre ich ein Klirren. Glänzendes Metall löst sich von ihrem Körper und springt abwärts in den Teufelsgrund. „Nein!!“, rufe ich, „Das war dein Tuber!“
Kurze Verlustbewertung, einer reicht eigentlich, Abstieg sowieso zu Fuß; im Auto habe ich Ersatz.
L4. Es geht gerade so weiter. 6b+, hier muss man sich erholen, sonst wird es mit dem Rest nichts. Ich gebe mein Bestes, Kraft zu sparen; nach dem kratzigen Start klettert sie sich ganz nett. Fleißig ziehe ich einzeln die Halbseile raus, bis mir einfällt, dass Sybille nun mit HMS sichert.
Wenn ich ein Kind kriege, nenne ich es Laura…
L5, 6c. Ein grausig-schmaler Handriss, unregelmäßig und fies, nie enden wollend, die linke Wand abdrängend, die rechte glattpoliert: die wahre Crux der Route. Ich denke schon nach anderthalb Metern, ich tropfe ab. Aber Zentimeter für Zentimeter geht es höher. Ganz langsam. Der Riss ist zu schmal für die Hand, zu breit für die Finger, manchmal bleibt nichts, als halb zu piazen. Ich brülle, „Schieben!!“, Lila und Grün wechseln sich endlos ab. Es kommt ein Absatz, eine Kante, ich verschnaufe. Um ein Dächlein, Gott hilf mir, der Riss setzt sich genauso fort. Gott sei Dank habe ich noch einmal Lila. Nach dreißig Metern erreiche ich endlich das Band und lache wie von Sinnen, irgendwie habe ich die Länge doch geschafft. Die Sonne geht unter. Wenn ich ein Kind kriege, nenne ich es Laura.
L6. 6b, mal wieder was zum Ausruhen. Die Länge ist recht angenehm, nur oben quert man wild von rechts nach links rüber zum Stand, oder man wühlt sich durch den latschendurchsetzten Bruch.
L7. Alter Vadder. 6c+ heißt es – der Start sieht flüssig aus, ich hoffe schon auf eine Länge, die zur Abwechslung mal nach der schwersten Stelle bewertet ist und nicht ein einziges Brett. Ich klettere los, piaze recht entspannt einen breiten Riss hinauf, und blicke um die Ecke. Der Riss wird zum Offwidth und weitet sich dann zu einem Kamin. Erst scheint es, man muss einfach nur um die Kante, doch dann stellt sich die Frage, wie. Beinahe werfe ich meinen Fuß im Boulderstil auf einen Tritt ganz weit rechts oben, dann zögere ich. Mein letztes Placement ist bereits unter meinen Füßen. Abklettern.
Ich brauche nicht an meinen Gurt zu schauen. Der 4er liegt vor mir im Riss, und zwar an der schmalsten Stelle, ganz unten. Drei, vier, fünfmal klettere ich hoch und runter, schiebe meinen Kopf zaghaft um die Kante; ich sehe keine Möglichkeit, um halbwegs kontrolliert um die Ecke zu kommen, ohne voll zu committen. Ich fluche. Hoch und runter, mit jedem Abwärtspiaz fließt die Kraft aus meinen Unterarmen. Ich will einen Fünfer! Ich fange an zu heulen. Was für @#$!%&* Wichser! Warum schreiben sie das nicht rein? Ich will einen Fünfer! Fast erwäge ich, nach links abzuzweigen in Florina, dann würden wir es vielleicht sogar noch im Hellen schaffen.
Um die Tränen herum scheint der Riss oben nochmals schmaler zu werden, vielleicht geht es doch. Ich justiere den 3er neu, hole den 4er raus und schiebe ihn einen Dreiviertelmeter hoch. Er liegt. Die Backen sitzen gerade noch eng genug. Triumphierend setze ich die Stelle neu an, und traue mich nun, mit einer Art Chicken Wing mein Bein nach rechts zu werfen auf einen Winztritt, setze die Hände um, den Fuß weiter, und schiebe mich auf den Tritt weit rechts außen. Von dort ist es ein Leichtes, den Körper in den Schlund zu quetschen. Ja!
Doch was klingt wie eine ganze Seillänge waren bisher läppische zwölf Meter. Es fängt erst an. Absatz, Verschnaufpause, Partnerin außer Sicht, Scheiße, es wird wieder schwer. Riss, Verschneidungseck, und jetzt soll man da wieder raus. Sybilles Helm taucht wieder auf. Ich stehe weit ausgespreizt in der Verschneidung, der Cam zwanzig Zentimeter unterhalb ist mir nicht genug, ich brauche einen obendrüber. Nichts passt. Mein linker Fuß krampft, ich kann ihn nicht mehr durchdrücken, dadurch bin ich zu niedrig, muss ihn schütteln, es geht nicht, ich will loslassen… Nach fünf langen Minuten finde ich doch ein winziges Plätzchen für den 0.3er, presse die schmerzende Wade durch, finde Halt, setze die rechte Flosse auf mein eigenes Tickmark an der glatten rechten Wand und zerre mich unelegant nach oben über den Wulst. Endlich ein Henkel.
Plötzlich kein Seil mehr
Plötzlich kein Seil mehr. Ich brülle, höre nur Wortfetzen zurück, wir schreien hin und her. Scheinbar hat sich das blaue Seil verklemmt, sich hinter den 4er durchgezwängt. Das war klar. Ich klettere zwei Züge ab, Sybille zieht von unten, ich wieder von oben. Irgendwann ist es frei. Nicht auszumalen, wenn das zwei Sekunden früher passiert wäre.
Von der Schweizer Fahne am Hang gegenüber brüllt es nun auch. Besorgte Klettersteiggeher haben unser Hin und Her beobachtet. Nach einigen Anläufen weht es herüber, „Braucht-ihr-Hilfe??“ – „Nein!“, brülle ich zurück. Für Danke und mehr ist die Entfernung zu groß.
Nach sicherlich fünfundvierzig Minuten erreiche ich den Stand, muss wieder wie wahnsinnig lachen; ich weiß nicht wie, aber irgendwie habe ich auch diese Seillänge onsight geschafft. Ich mache die Augen zu und kauere mich ins Eck, um dem Wind zu entfliehen. In der Dämmerung meine ich, an der Krampfstelle auch die Nachsteigerin kurz schluchzen zu hören. „Ich kann nicht mehr!!“, ruft es hoch. Irgendwann kommt sie ums Eck. „Sag mal, bist du eigentlich noch ein Mensch?“
L8. Es hört nicht auf. 6b laut Internet, denn die Bewertung im CHlean ist leider falsch. Dafür immerhin nicht noch eine 7a. Auch diese Länge will geklettert werden, ein schöner, aber abdrängender Handriss, macht im Hellen bestimmt Spaß. „Es wäre cool, wenn du alles vollballern kannst, falls ich nicht hochkomme…“ – Ich lege direkt was, aber keinen Meter später fange ich an zu schieben. Rot und Gelb, alles weit außerhalb ihrer Reichweite. Ich klemme, das Handgelenk schreit. Meine Füße sehe ich nicht, denn sobald ich runterschaue, wird das Licht dunkler. Ich verliere die Nerven.
„Scheiß Reactive Lighting, was fällt denen ein!!! Da geben sie mir eine neue Lampe und dann KANN DIE NIX! Ich raste aus! Die kommt in meinen SPORTkletterrucksack*!“ Ich spucke es aus wie ein Schimpfwort. Zumindest halten die Klemmer.
Oben stehe ich exponiert auf der Kante, der Wind nimmt mir die letzte Wärme. Die Partnerin schafft es auch ohne rettende Cams. Ich zittere, als sie den Stand erreicht.
L9. Im CHlean steht 5c, das Internet ist anderer Meinung: 6c. Tippfehler? Ich bleibe bei ersterem, etwas anderes kann ich jetzt nicht mehr klettern. Zähneklappernd klettere ich los, warm wird mir nicht. Nach dem Sockel beginnt der Riss. Erst schön schmal und tief, Fingerlocks, das geht doch. Die Wand steilt sich auf. Über Sicherungsmöglichkeiten kann ich nicht klagen, aber der Riss öffnet sich, wird seichter, meine Finger suchen vergebens nach der erlösenden Arretierung.
Ich kämpfe in der Crux. Der rettende Handklemmer ist für mich zu weit weg. Da oben muss der Grüne noch reingehen, sonst mache ich den Move nicht. Plötzlich stehe ich im Dunkeln. Scheiße! Diesmal bin ich zu sehr am Limit zum Fluchen, ich atme vorsichtig und kontrolliert, der linke Klemmer droht zu rutschen. Meine Rechte greift an den Helm, findet den Knopf, drückt dreimal, jetzt die Lock-Funktion nicht vergessen. Es wird wieder hell. Fuck, wo ist meine gute Actik Core? Mit der hatte ich noch nie solche Probleme! Den halben Mittelpfeiler hat sie mich nicht im Stich gelassen!
* Ich habe in jedem meiner Rucksäcke eine Lampe. Irgendwer hat behauptet, mit der Alba würde man immer in die Dunkelheit kommen, da gehe ich auf Nummer sicher.
Plötzlich Hubschrauberlärm
Konzentrieren. Weiter. Der Grüne liegt, halbgeil, aber er liegt, und es ist ja nicht so, als hätte ich darunter nicht noch drei andere Sachen stecken. Ich fummele die Finger an die bestmögliche Stelle, nehme die Kante jetzt doch als Seitgriff, und werfe den linken Fuß direkt neben die Hand. Gut, genau den Move habe ich vor paar Wochen in einem Projekt gemacht – der wird gehen. Er geht. Ich versuche mich draufzuschieben.
Plötzlich Hubschrauberlärm. Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt! Ich bete, dass keiner sie für uns geschickt hat, und wir sie unverrichteter Dinge wieder wegschicken müssen, denn jetzt fehlen nur noch zehn schwere Meter, und auch die werde ich noch durchsteigen. Und wenn sie neben mir landen!!!
Ein letzter Akt des Würgens und Wollens, mit einem weiteren verzweifelten Schrei richte ich mich auf, mein Oberschenkel brennt, fast kippe ich raus, aber irgendwie, irgendwie hält es, und ich stehe schwankend auf dem abschüssigen Bändchen. Der Hubschrauber dreht ab. Ich mühe mich noch ein paar Meter die Platte hoch, meine Finger suchen, ums Eck, was legen, aufrichten, und ich stehe am Ende der Platte auf einem Schuttband. Ich kann es nicht fassen. Auch die letzte 6c ist vorbei. Jetzt fehlt nur noch eine Länge –
L10, 6a. Eine 6a werde ich zehnmal im Dunkeln klettern, das muss immer gehen. Frierend, aber guter Dinge warte ich auf Sybille, ihr Nachstieg bringt mir wie immer die nötige Pause. „Ich will nicht mehr“, sagt sie. „Noch eine Länge“, sage ich. Sie weiß, es gibt keine Wahl. Unten leuchten die Lichter von Andermatt.
Der Gedanke kommt mir, dass die abweisende Schlucht mein Glück ist – hier kann man nämlich nicht einfach abseilen und raus, man muss hoch. 90 Prozent der Nachsteiger hätten trotzdem schon nach Seillänge 5 die Petition zum Umdrehen eingereicht.
6a, also. Nochmal wird einiges abverlangt, der Start vom Band weg ist auch noch schlecht zu sichern. An winzigen Käntchen halte ich mich fest, der Wind zerrt an mir, das Band sehe ich nicht, Gott sei Dank, denn es ist Nacht.
Dann ein hübscher Handriss, der entschädigt; als Abschluss dafür ein tiefer Kamin, der angeblich schon so manchen Nachsteiger verschlungen hat. Ich quetsche mich hinein und hinauf, balanciere am Rand, mich kann nichts mehr schocken. Mein Körper macht das Richtige. Ich laufe mit dieser tiefen Kraft, dieser zweiten, die erst kommt, wenn längst alles aufgebraucht ist: Überleben. Auch wenn wir hier nicht wirklich in Gefahr sind, aber das weiß mein Körper nicht.
Ein richtiges Biest
Ich bin oben. Lachend klopfe ich ans Metall des Gipfelbuches, ziehe die Seile nach, zum x-ten Mal das Schnapp-Schnapp-Zudrehen der Karabiner, ich lege mir das Seilbündel unter und kauere auf einem Zacken.
Drei Meter vor Schluss ist die Partnerin am Ende ihrer Kräfte, der saugende Schlund jagt ihr Angst ein. Sie steigt ab in den Kamin und versucht wie ein Maulwurf von unten ans Licht zu kommen, um ja nicht zu pendeln. Sie will ein Seil, ich gebe ihr das Bremsseil und sie zieht sich selbst hoch.
Ich lese derweil das Gipfelbuch. Der Wind fährt in die Seiten und will es mir entreißen, von meinen kalten Fingern tropft das Blut, aber ich halte es fest und im Schein vom Reactive Lighting häufen sich Sprüche wie, „Wild und hart!“, „Von der Laura richtig einen auf den Sack bekommen!“, „Ein richtiges Biest!“. Scheinbar fanden sie auch noch andere schwer. Als letzter Eintrag die beiden Amis vor uns in der Nachbartour: „Where did the Germans go?“
Sie waren uns bereits um Längen voraus, während ich mich noch in der 7a abkämpfte. Um 23.10 Uhr steigt Sybille endlich aus dem Kamin und auch wir stehen vereint am Gipfel der Wand.
L11: (Scheiße, ja, die kam auch noch.) Eine kurze Umarmung, mehr lässt der Wind nicht zu, und ab in den Schutz der Latschen. Ich ziehe meinen Gurt aus und packe alles weg. Fünf (wahrscheinlich fünfundzwanzig) Minuten später stehen wir vor einem Aufschwung, Pfadspuren rechts und links, aber es geht nirgends weiter. Die Beschreibung herausgeholt, lesen hätte geholfen: „… man gelangt so in die letzte, einfache Länge von Alpentraum.1“
Also den Gurt nochmal an, die Schuhe sind ganz unten im Rucksack. Nee. Kurz darauf wühle ich mich den Riss in ausgelatschten Turnschuhen hoch, deren Reibung einem Gummiboot im Wasser gleicht. Endlich oben.
Der Abstieg zieht sich, nachts immer besonders, wir steigen an Fixseilen durch steilen Matsch und Wiesen hinab. Dann endlich die Schotterstraße: Ich versuche meinen Rucksack von Schlamm zu befreien, Sybille geht schon mal vor. Kurz darauf höre ich von weiter vorn seltsames tiefes Grunzen. Sybille kommt mir mit großen Augen wieder entgegen. Ist es so weit, haben wir Halluzinationen? Ich erzähle von dem Bohrhaken, den ich nachts im Heiligkreuzkofel gesehen habe, der dann beim Näherkommen verschwunden war. Ohne den wäre ich es nicht geklettert!
Wir wagen uns voran. Das Schwein entpuppt sich als ein großer blauer Wasserbehälter, dessen Schläuche grausige Töne von sich spucken. Im Nieselregen erreichen wir um 1.30 Uhr das Auto.
- Stadler, Andreas auf https://www.mybergtour.ch/teufelstalwand-laura ↩︎